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Sagenhaft! 40 Jahre Samuelis Baumgarte Galerie

9 Kunst und des Ästhetischen aufgelöst werden. Das Ganze hat etwas Barockes an sich, etwas Traum- haftes, eine Art Parallelwelt als Kommentar zur Wirklichkeit. Dem entspricht die ausgewählte Kunst, die vielfach von opulenter Farbigkeit geprägt ist. So etwa Bilder von Ruth Baumgarte. Bemerkenswert ist ihr Kolo- rismus. Es gibt quasi monochrome Bilder (Camaieu, Grisaille, Brunaille), aber seit den 1980ern, mit Vor- läufern in den 1960ern auch „Falschfarbenbilder“, die zum Beispiel vorwiegend in Grün gehalten sind. Diese Entwicklung kommt nicht von ungefähr, da die Farbgestalt ihrer Figuren schon früh Töne beinhaltete, die von natürlichem Vorkommen im Sinne von Abbild- lichkeit unabhängig waren und gesetzt wurden, um ein stimmiges Bild und eine klangvolle Farbigkeit zu errei- chen. Ruth Baumgarte fasst ihre Motive, etwa einen männlichen Kopf, als autonome Farbereignisse auf, was Korrespondenzen zum Bildganzen aktiviert: Alles ist Malerei. Ein wichtiges Thema (und Anliegen) war ihr Afrika. Sie besuchte den Kontinent häufig und regelmäßig. Sie hat die Faszination, die Afrika auf sie ausübte, in entschie- den westliche Kunst umgewandelt, also keine quasi afrikanische Kunst geschaffen. Die Afrika-Bilder sind für sie in zweierlei Hinsicht wichtig. Einmal als ästheti- sche Ereignisse, zum anderen als Positionen im politi- schen und sozialen Bereich. Dort hat es kritisches Po- tenzial als Katalysator einer weiteren, reflektierenden Verarbeitung durch den Betrachter. In diesem Sinne arbeitete auch, wenn ebenso im abstrakten Idiom, Bernard Schultze. Er entwickelte eine sehr individuelle, feine und detailreiche lyrische Abstraktion im Rahmen des Informel. Von 1961 an wendete er seine Malerei in die dritte Dimension und schuf die Migofs, farbenfrohe Skulpturen in bizarren Formen. Die Basis für Schultzes abstraktes Schaffen ist die Na- tur, vor allem der Wald, die Wurzeln, das Unterholz, was ihn perfekt mit dem Sagenhaften in Verbindung bringt. Ohne in die Nähe des Abbildenden zu geraten, nimmt Schultze strukturellen Bezug auf den Wald. Lini- en und schmale Bänder, Punkte und Flecken sind eng miteinander verzahnt. Manchmal entsteht ein reines All-over-Muster, welches das ganze Bild überzieht, fast wie bei Serge Poliakoff, nur kleinteiliger. Die Gemälde folgen einer Verdichtungen schaffenden Bildstrategie, und Schultzes Kunst reflektiert einen malerischen Di- alog zwischen den Einflüssen eines Künstlers und sei- nem schöpferischen Geist. Heinz Macks starkfarbige Gemälde sind ebenso der Erscheinung des Sagenhaften verpflichtet, dem sonst Unsichtbaren. Mack definiert das ästhetische Sein sei- ner Werke durch das Licht und dessen Brechungen, durch Vibration und einer spezifischen Wiedergabe von Immaterialität. Denken wir etwa an das „trans- zendentale Leuchtlicht“ (Wolfgang Schöne), so sehen wir zum Beispiel im Regenbogen-Halo in Grünewalds Auferstehung vom Isenheimer Altar eine symbolische Repräsentation des Transzendenten, nicht aber phy- sikalisches Licht. Eine ähnliche Dimension, wenn auch in ganz anderer Weise verwirklicht, begegnet uns in entsprechenden Werken von Heinz Mack. Macks farbenfreudige Bilder beziehen sich auf die Vor- stellungskraft, auf Wissenschaft und Natur. Perfekt verbinden sie Gefühl, Erfahrung und Ikonografie. In „Vibrierende Farbfelder“ (1991) wird das deutlich. Die emotionalen Qualitäten, die Faktur als Repräsentation von Vibration, die visuell auch eine solche auslöst, und die Komposition als stabilisierendes Gegengewicht reflektieren Beziehungen sowohl rationaler als auch emotionaler Natur, deren Unterschiede harmonisch im Bild aufgehen. Das ist keine Illustration, sondern Assoziation; die Bildstruktur bleibt autonom. Eine tiefe Reflexion über Natur und menschliches Denken: Was wir sehen und was wir daraus machen, ist das, was uns zu dem macht, was wir sind. Gerhard Richter ist ein weiteres Beispiel für die Erfor- schung von Farbe. Seine Neudefinition der Abstraktion geschieht durch die Kreation von bisher ungesehenen Farbräumen, die, als Material Farbe stets erkennbar, optisch ausdifferenziert werden zu Bildräumen, vor denen der Betrachter eine Unsicherheit des Stand- punktes spürt. Er hält sich an Malspuren, denen er mit dem Auge folgt, oder er wird von der Totalität der Farberscheinung erfasst. Jedes Mal entsteht etwas zuvor Ungesehenes, etwas Unvorhersagbares gar, Bil- der, die von unerreichbaren (und auch von daher „sa- genhaften“) Dimensionen sprechen, visuelle Märchen ohne Erzählung, reine Malerei. Anders Niki de Saint Phalle. Ihre Figuren wirken, als seien sie direkt aus einer Sagenwelt auf die Erde gefal- len. Sie sah, dass Kunst ein Lebensprinzip ist, für einige Menschen vielleicht das Lebensprinzip überhaupt, das allerdings kulturell gezähmt worden ist. Sie wusste aber, dass man sich dieses Prinzips einfach bedienen konnte, unter anderem, um die Mächte des Verbor- genen für sich in Dienst zu nehmen. Dieser Weg, zwi- schen der Welt in ihrem Innern und der Außenwelt eine Beziehung herzustellen und damit eine Identität zu finden, bot sich ihr schon früh (Pontus Hultén). Ihre im Kontrast meist von Schwarz und reinbunten Farben gefassten Figuren (Nanas) verkörpern eine märchenhafte Idealwelt, geprägt von Vorstellungen, die Johan Huizingas Gedanken vom homo ludens na- hekommen. Es ist Lyrik pur, der immer auch ein gewis- ses ostinato lugubre zugrunde liegt, ein Unterton von Bedrohung und Gefährdung, der, wie das Leben, einen Tanz auf dünnem Eis darstellt, der eigentlich nur im Sagenhaften gelingen kann. Diese Ausstellung will ganz ausdrücklich eine Feier, ein Kunstfest sein, mit allen Sinnen. Das ist in einer Zeit, in der frohe Lebensäußerungen schon zum Feindbild ge- reichen, von sehr großer Bedeutung: Wir alle erfahren eine lebensnotwendige Selbstbehauptung.

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